Storms Heiligenstädter Märchen in der Kritik

In der Rezension werden die Märchen von Theodor Storm äußerst wohlwollend aufgenommen. Im „Gedenkbuch zu des Dichters 100. Geburtstage“ (Braunschweig, 1916) beurteilt Waldemar Mühlner die Märchendichtung wie folgt: „Storms Märchendichtung nimmt einen Ehrenplatz in der Märchenliteratur ein. […] Naturschilderungen, Stimmungsgehalt, Erinnerungszauber, novellenhafter Einschlag, das sind Züge grundsätzlicher Art in Storms Märchen. Sie wurzeln in seiner Persönlichkeit, die die morderne Kultur in sich aufgenommen hat, sind also Kennzeichen des Kulturpoeten. Sie stempeln die Märchen zu Stormschen Dichtungen. In Keiner Weise beeinträchtigen sie den Wert des Ganzen, eher heben sie ihn, aber sie zeigen die Grenze der Märchenkunst Storms.“

Auch die jüngere Kritik zeigt die herausragende Stellung der Stormschen Märchen in der Märchenliteratur auf. Dr. Gerd Eversberg gelangt in seiner Neuausgabe der „Regentrude“, „Die Regentrude. Ein Mittsommernachtsmärchen von Theodor Storm.“ (Berlin, 2000) zu folgender Beurteilung: „In der ‚Regentrude‘, die man von allen Märchen am ehesten in der Gattung Kunstmärchen zuschreiben kann, hat Storm die Tradition der realistischen Dorfgeschichte mit dem wunderbaren des romantischen Märchens zu verbinden versucht. Mit der Trude und dem Feuermann griff er germanische Mythen auf, um in seiner bildlichen Darstellung Naturvorgänge zu gestalten und zu erklären. Es gelingt Storm, die mythischen Bilder mit einer aus dem Märchen gewonnenen Moral und mit der realistischen Schilderung des bäuerlichen Lebens zu einer sinnlich erfahrbaren, schlichten und schönen Einheit zu verknüpfen, wie sie uns in sonst kaum einem Text aus dieser Zeit begegnet.“

Auch heute noch wird der Leser von einem eigenartigen Zauber Stormscher Märchen gefesselt. In den letzten 100 Jahren sind eine Fülle an Separatausgaben der einzelnen Märchen, vor allem aber der „Regentrude“, erschienen. Storm selbst schien dies schon 1866 geahnt zu haben, als er folgende Zeilen an Hartmuth Brinkmann schrieb: „Mein Freund, diese Märchen werden in der deutschen Poesie lange leben; denn sie sind in gesundester und hingebendster Umarmung mit der Muse gezeugt.“