Am ersten Juli-Wochenende richtete das Literaturmuseum „Theodor Storm“ wieder die alljährlichen Stormtage aus.
Anlässlich des 200. Taufjubiläums von Heinrich Heine in Heiligenstadt widmeten sie sich dieses Mal ganz dem Leben und literarischem Schaffen des berühmten Dichters. Im Folgenden möchten wir Ihnen diese dreitägige Veranstaltungsreihe mit ihrer vielseitigen Programmauswahl in der Rückschau zusammengefasst vorstellen.
Freitag
Zur Eröffnung am Freitagabend stimmten die Vorsitzende des Storm-Vereins, Monika Potrykus, der Museumsleiter Dr. Gideon Haut sowie die Erste Beigeordnete der Stadt Ute Althaus mit Grußworten auf die Feierlichkeit ein. Für eine passend untermalende, musikalische Begleitung sorgte Cathleen Köchy auf der Flöte. In diesem Zusammenhang stellte Dr. Haut auch den neu-eingetroffenen 26. Jahrgang der Storm-Blätter aus Heiligenstadt vor.
Dieses Mal handelt es sich um eine eigens zu Storms Kindermärchen Der kleine Häwelmann erstellten Sonderausgabe, die neben diversen kunsthistorischen und literaturwissenschaftlichen Beiträgen auch die Erstfassung (mit der Dokumentation aller Druckzeugen) des Textes von 1849 und eine vollfarbig-bebilderte Auflistung aller bis 2021 erschienen Bilderbuch-Cover enthält. In unserem zuletzt geposteten Blogeintrag (vor diesem hier) können Sie sich gerne genauer über die neuen Storm-Blätter informieren. Oder Sie schauen direkt bei uns im Museum vorbei und riskieren persönlich einen Blick hinein: Ab sofort sind diese nämlich käuflich bei uns im Museumsshop für 9,80 € pro Stück zu erwerben.
Den anschließenden Programmauftakt bildete eine Lesung aus Die Harzreise samt Live-Zeichnen vom Künstlerpaar Gaby von Borstel (Autorin) und Peter Eickmeyer (Zeichner). In Kooperation mit dem Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf arbeiteten beide an der Graphic Novel Heinrich Heine – Eine Lebensfahrt, die 2023 im Splitter-Verlag veröffentlicht wurde. Eine Auswahl ihres gesamten Graphic Novel-Sortiments zum Verkauf vor Ort hatten beide ebenfalls mit im Gepäck. Nach der Vorstellung nahmen sie sich noch ausgiebig Zeit für unsere Gäste. Nicht nur bestand die Möglichkeit, noch mit dem Zeichner und der Autorin ins Gespräch zu kommen, sondern auch Autogramme mit einer direkt vor den eigenen Augen angefertigten Illustration in schwarz/weiß als einzigartiges Erinnerungsstück an diesen Abend zu ergattern.
Mit Fachvorträgen am Samstag und Sonntag Morgen bereicherten uns dieses Jahr vier Referenten und Referentinnen.
Samstagvormittag
Jan von Holtum: „Sei mir gegrüßt, Freiheit“ – Heinrich Heines Glaube an eine überzeitliche Idee
Deren Beginn läutete Jan von Holtum, der stellvertretende Direktor des Heinrich-Heine-Instituts Düsseldorf, mit seinem Vortrag „Sei mir gegrüßt, Freiheit“ – Heinrich Heines Glaube an eine überzeitliche Idee ein. Vor allem in Hinblick auf Heines Kindheit im Rheinland während dessen Eingliederung in das Großherzogtum Berg unter der Regentschaft von Joachim Murat, dem Schwager des französischen Kaisers Napoleon I., verdeutlichte von Holtum neben der ideellen auch die biographische Nähe Heines zur zeitgenössisch französischen Mentalität und der politischen Ausrichtung des ersten Bonaparte-Regimes. Beides sei maßgeblich prägend für Heines Freiheitsverständnis gewesen.
Anders als infolge der Reformen von Hardenberg 1812 unter der späteren preußischen Verwaltungsdirektion über Düsseldorf (bzw. über das Generalgouvernement Berg) sei der jüdische Bevölkerungsanteil zur Zeit des Großherzogtums Berg als rechtlich gleichgestellte Bürger und Bürgerinnen behandelt worden. Auch deshalb sei Heine, der wegen seiner jüdischen Herkunft grundsätzlich und für ihn selbst deutlich spürbar als Außenseiter gebrandmarkt worden sei, überzeugt von den Idealen der Großen Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) im gesamteuropäischen Maßstab gewesen und habe Napoleon I. mit der Einführung der Cinq Codes als deren praktischen Vollender angesehen. Trotz Heines Idealisierung von Napoleon als Künder der Freiheit habe er ihn in seinem späteren Leben auch als Aristokrat und damit Feind der bürgerlichen Freiheit beurteilt.
Vergleichbar zu den zeitgenössisch politischen Systemausrichtungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich (gemeint ist die Zeit direkt nach der Großen Französischen Revolution inklusive des ersten Bonaparte-Regimes und während der Regentschaft des sog. Bürgerkönigs Louis Philippe I.) sei Heine Verfechter eines solchen Republikgedankens auch für die deutschsprachigen Territorien während der Restaurationszeit gewesen. Daran anschließend habe er sich gegen die zunehmend im 19. Jahrhundert wachsenden Ressentiments zwischen Deutschland und Frankreich positioniert, genauso wie gegen den aufkommenden deutschen Nationalismus im Allgemeinen.
Im selben Atemzug betonte von Holtum allerdings, dass sich Heine keinesfalls als „Agitator“ verstanden habe, auch wenn er in seiner Identität als Schriftsteller politische, gesellschaftliche, religiöse und soziale Missstände immer wieder unzweifelhaft scharf kritisiert habe. In Abgrenzung zu anderen bekannten zeitgenössischen Schriftstellern, wie Hoffmann von Fallersleben, denen Heine nur einen kurzlebigen Bekanntheitsgrad attestiert habe, habe er hingegen dafür plädiert, dass Literatur immer einen eigenen künstlerisch-ästhetischen Eigenwert und dichterisches Empfinden als dessen Hauptkriterien behalten müsse, anstatt sich politisch ausgerichteter Zwecke zu verschreiben. Auch gegen die Zensur habe Heine dieselbe Idee von künstlerischer Freiheit immer wieder behaupten müssen. Darüber hinaus wies von Holtum Heine als vordergründigen Genussmenschen aus, dessen unkonventionelles Freiheitsempfinden für den einzelnen Menschen sich nicht nur aus kulinarischen, sondern auch aus amourösen Bedeutungszusammenhängen (Genussfreiheit und freie Liebe) gespeist habe.
Nora Schön: Auf der Spitze des Ilsensteins“ – Heines wegweisende „Harzreise“
Als zweite Referentin am Samstagvormittag stellte die wissenschaftliche Mitarbeiterin aus dem Heinrich-Heine-Institut, Nora Schön, ihre Präsentation mit dem Titel Auf der Spitze des Ilsensteins“ – Heines wegweisende „Harzreise“ vor. Thematisch und inhaltlich basierte diese auf der von ihr und Jan von Holtum gemeinsam kuratierten Sonderausstellung Alles wie verzaubert – 200 Jahre Heines ,,Harzreise“. Auf deren Konzeption und finaler Realisierung ging Frau Schön im selben Zusammenhang auch anhand ausgewählter Fotos näher ein. Zu sehen war diese bis zum 4. Mai 2025 im Heinrich-Heine-Institut.
Daran anschließend nahm sie eine Einordnung seines ersten Reisebildes anhand von Heines zeitgenössischer Lebenssituation und der im Werk geschilderten Wanderstationen vor. Nicht nur habe sich Heine von seinem unliebsamen Jura-Studium in dem von ihm noch ungeliebteren Göttingen niedergedrückt gefühlt, sondern ihn habe gleichfalls die finanzielle Abhängigkeit von seinem Onkel Salomon sowie der generelle familiäre Erwartungsdruck belastet. Sie rekurrierte dahingehend auch auf die Erstveröffentlichungsproblematik von „Die Harzreise“ aufgrund von vorgenommenen Zensurmaßnahmen und dem darauffolgenden Wechsel zu Heines zukünftigen Stammverleger Julius Campe in Hamburg 1826. Außerdem zeigte sie im Reisebericht den Beginn einiger Entwicklungsstränge für Heines spätere literarische Darstellungsweise sowie sein Selbstverständnis als Dichter auf. So verdeutliche „Die Harzreise“ bereits die später Heine-typische bissig-ironische Kommentierung von gesellschaftlichen sowie sozialen Missständen und politischen Zeitgeschehens, die sich mit dem Reichtum an poetischen Natureindrücken zu eigentümlichen, literarischen Eindrücken vermische.
Als Exempel für Heines Sozialkritik im Reisebericht erläuterte sie zum einen dessen Empathie befördernde Herausstellung der harten und gesundheitsschädlichen, gar lebensgefährlichen Arbeit der Harzer Bergleute unter Tage, zum anderen die scharfe Beanstandung der Lehr- und Lebensweise des Göttinger Philistertums. Dessen veraltete, wissenschaftliche Standards sowie die gleichsam darin verankerte selbstgerechte Verbohrtheit, die Heine bereits während seines leidigen Jura-Studiums an der Georg-August-Universität geplagt habe, habe er mittels seiner Wanderung entfliehen wollen. Aber letztlich sei die resigniert-gefasste „Pointe“ in „Die Harzreise“, dass sich Heine nicht nur in Träumen immer wieder mit diesen gequält sehe, sondern er auf seiner Reise außerhalb von Göttingen durchgehend mit jenem Menschenschlag konfrontiert werde, ob eben mit jener Philister-Überheblichkeit oder genauso mit hannoverschen Adelsdünkel. Darin scheine ebenfalls Heines Empfinden seiner Selbst als satirischer Gesellschaftskritiker, aber auch als gesellschaftlicher Außenseiter bzw. Ausgestoßener auf, was unvermeidlichen Einfluss auf die zukünftige Inszenierung seiner Dichter-Identität ausgeübt habe.
Ein besonderes Augenmerk legte Frau Schön auf die Ilsenstein-Szene. Innerhalb dieser beschreibt der Erzähler, wie er sich gänzlich in Gedanken verloren und auf einmal die Musik des unterirdischen Zauberschlosses des Ilsensteins vernehmend, in seiner Seelennot durch einen drohenden Absturz von dem Granitfelsen an dem dort platzierten eisernen Kreuz habe festhalten müssen. Diese Szenenkomposition müsse als Allegorie auf die Intention sowie Gefühlsspiegelung Heines im Bezug auf seine evangelisch-lutherische Taufe in Heiligenstadt gelesen werden.
Im nächsten dieses zweitteiligen Blogbeitrags wartet die Zusammenfassung der Stormtage vom Samstag- bis zum Sonntagnachmittag auf Sie. Also, bleiben Sie gerne dran!
Fortsetzung folgt…