Ostern 1848 – ein politisches Gedicht
Am 13. April 1846, am 2. Ostertag, schrieb Storm an Constanze Esmarch, er habe am Vormittag ein politisches Gedicht verfasst, das ihm „gelungen“ sei. Zwei Jahre später vollendete er die Verse und sandte sie an Theodor Mommsen, der damals Redakteur der „Schleswig-Holsteinischen Zeitung“ war. Dieser war jedoch nicht überzeugt von der politischen Aussagekraft: „Es taugt nicht für ein politisches Blatt“, war die Antwort auf Storms Brief. So gab Storm das Gedicht in das „Volksbuch“, in dem es dann den nächsten Jahrgang eröffnete.
Die Hoffnung auf politische Erneuerung, die 1848 das Land erfasste, drückte sich in der Lyrik des Vormärz im Bild des Frühlings sowie der Naturkräfte generell aus, so auch bei Storm:
Es war daheim auf unserm Meeresdeich;
Ich ließ den Blick am Horizonte gleiten,
Zu mir herüber scholl verheißungsreich
Mit vollem Klang das Osterglockenläuten.
Wie brennend Silber funkelte das Meer,
Die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel,
Die Möwen schossen blendend hin und her,
Eintauchend in die Flut die weißen Flügel.
Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand
War sammetgrün die Wiese aufgegangen;
Der Frühling zog prophetisch über Land,
Die Lerchen jauchzten und die Knospen sprangen. –
Entfesselt ist die urgewalt’ge Kraft,
Die Erde quillt, die jungen Säfte tropfen,
Und alles treibt, und alles webt und schafft,
Des Lebens vollste Pulse hör ich klopfen.
Der Flut entsteigt der frische Meeresduft;
Vom Himmel strömt die goldne Sonnenfülle;
Der Frühlingswind geht klingend durch die Luft
Und sprengt im Flug des Schlummers letzte Hülle.
O wehe fort, bis jede Knospe bricht,
Daß endlich uns ein ganzer Sommer werde;
Entfalte dich, du gottgebornes Licht,
Und wanke nicht, du feste Heimaterde! –
Hier stand ich oft, wenn in Novembernacht
Aufgor das Meer zu gischtbestäubten Hügeln,
Wenn in den Lüften war der Sturm erwacht,
Die Deiche peitschend mit den Geierflügeln.
Und jauchzend ließ ich an der festen Wehr
Den Wellenschlag die grimmen Zähne reiben;
Denn machtlos, zischend schoß zurück das Meer –
Das Land ist unser, unser soll es bleiben!