Kindererziehung bei den Storms
Der Zeichner und spätere Journalist Ludwig Pietsch, ein guter Freund von Storm, war in den 1860er Jahren dreimal zu Gast in Heiligenstadt. Bei diesen Besuchen verliebte er sich mit seinem Zeichenstift in die Eichsfelder Landschaft. Er notierte seine Erinnerungen in seinem Buch „Wie ich Schriftsteller geworden bin“. Darunter auch seine Begegnungen mit der Storm-Familie. Dabei beschreibt Pietsch auch die Kindererziehung:
„Die Kinder wuchsen in voller Freiheit auf. Im Vertrauen auf ihre gute Natur kam das, was man so Erziehungsmaßregeln nennt, niemals bei ihnen zur Abwendung. Die drei Jungen Hans, Ernst und Karl wurden vom Vater als seine Freunde und Kameraden behandelt, mit denen er selbst Dinge besprach und erörterte, welche man gemeinhin vor Knabenohren nicht zu berühren pflegt. Diese Art der Erziehung und der Behandlung der Kinder ist immer ein etwas gewagtes Experiment, wenn kein Unheil daraus erwächst, können Vater und Kinder von Glück sagen.“
Nicht so kritisch sah Gertrud Storm das Verhältnis des Dichters zu seinen Kindern. In ihrem Buch „Ein Bild seines Lebens“ erzählt sie auf ihre Weise: „Die ältesten Knaben waren soweit herangewachsen, daß sie an den Nachmittags-Teestunden der Eltern teilnehmen konnten. Storm meinte, es sei für die geistige und moralische Entwicklung der Kinder von großem Vorteil, wenn sie täglich einige ruhige Nachmittagsstunden in ungestörtem geistigen Verkehr mit den Eltern zusammen seien. Die Teestunde war um 4 Uhr. Es gab für alle trockenes Brot und Tee ohne Zucker. Während dieser Mahlzeit, die Eltern und Kinder um den großen, runden Familientisch vereinigte, wurde vorgelesen.“
Weiter berichtet sie, wie sich der Lyriker um die schulischen Belange seiner Söhne bemühte: „Storm gab seinen beiden ältesten Söhnen den ersten Unterricht im Lateinischen; in den anderen Fächern wurden sie von Lehrern unterrichtet, bis sie im Herbst 1859 beide aufs Gymnasium kamen. Storm war kein geduldiger Lehrer. Seine Unterrichtstunden endeten oft mit einem erregten ‚Flegel!‘, und ein lockeres Handgelenk hatte der Vater auch. Constanze sagte dann: ‚Theodor, das kann ich nicht ertragen!‘ und verließ das Zimmer. Das Schulmeistern wurde dem Dichter recht sauer, denn seine Kräfte hatten sehr bestimmte Grenzen.“
Ihre Mutter beschreibt Gertrud dagegen als gütige Frau: „Von dieser Güte ihrer Mutter hatten die Kinder natürlich den größten Vorteil. Zerrissene Hosen und schmutzige Kittel brachten ihnen keine Schelte ein. Die Mutter lachte dann ihr freundliches, herzgewinnendes Lachen und besserte einfach das zerrissene Kleidungsstück sofort aus. Die Kinderfreuden wurden ihnen nie durch die Furcht vor einem nachfolgenden Strafgericht getrübt. Bei der allgemeinen Armut wurden Storms die ‚reichen Kreisrichters‘ genannt. Die Kinder durften sich nämlich an der einfachen Kost, die die Mutter ihnen bereitete, satt essen, während in den meisten anderen Häusern den Kindern die Portionen zugeteilt wurden. Auch von dem guten, selbstgebackenen Brote durften sie soviel essen wie sie wollten, wenn auch die Butter so dünne aufgestrichen wurde, daß man sie kaum sehen konnte.“