Winterleben in der Wilhelmstraße und ein Kartenspiel
Das Familienleben der Storms in Heiligenstadt hält immer wieder interessante Anekdoten bereit. Das wir noch heute teilhaben dürfen an diesen familiären Einblicken haben wir dem fleißig Briefe schreibenden Dichter zu verdanken. Familie und Freunde lässt er auf diese Weise an seinem Leben teilhaben.
Im Winter 1861 beschreibt Theodor seiner Mutter, Lucie Storm, anschaulich das Leben in der Wohnung in der Wilhelmstraße: „Also jetzt zur Schilderung unseres Winterlebens! In der Mittel- und in Constanzens daran grenzender Schlafstube haben wir die Fußböden streichen lassen; die heizen wir denn nun, und das ist unsre Welt: darin sitzen Hans und ich, zu arbeiten, Constanze, zu flicken, Ernst, Losche und Lite, zu malen und zu schnitzeln, darin schläft das Piepchen, tänzelt mit ihr, wenn sie wach ist, das Kindermädchen Ottilie […].“ Doch nicht nur die Stormsche Familie tummelt sich in den wenigen Zimmern, hinzu „kommen jeden Nachmittag noch wenigstens drei Nachbarskinder, zwei Mädchen und ein Junge von unserem Nachbar Bäcker Herold, gute wohlerzogene Kinder, mitunter noch zwei andere kleine hungrige Mädchen, Töchter eines Conducteurs Burchardt, die Pietsch und ich diesen Sommer, weil sie immer da waren und durch alle Ritzen quollen, die Ritzenqueller tauften […].“ Storm nennt sein Heim scherzhaft, liebevoll „Weltgebäude“.
Dass die Kinderscharen nicht nur fleißig ihren Schul- und Hauspflichten nachgekommen, sondern auch laut und viel gespielt haben, zeigen die nächsten Zeilen des Briefs: „[…] setzt sich auf Tisch und Stühlen diese ganze Kinderbande und spielt unter lebhaftem Geschrei ‚Tod und Leben‘, ein Kartenspiel, das Wussow den Jungen gezeigt hat, dem ich aber, da die Kinder schließlich, wenn sie ihre Schularbeiten gemacht, an nichts andres dachten, durch Verbrennung der Karten gestern ein plötzliches Ziel gesetzt; seitdem sagt Losche alle paar Stunden, selbst gestern im halben Einschlafen noch, mit der zartesten Stimme zu mir: „Papa, tut es dir nicht leid um die schönen Karten? Mir geht es auch so, wenn ich böse werd, da schmeiß ich alles hin; und nachher da tut es mir denn leid!“, und der Junge hat wirklich recht.“
Um die drastische Reaktion des Vaters besser nachvollziehen zu können, muss man vielleicht noch wissen, dass der Richter während alledem die Novelle „Im Schloss“ verfasst hat: „darin – in dieser betäubenden kleinen Welt habe ich in den letzten beiden Monaten eine Novelle geschrieben, die wohl um ⅓ länger als ‚Immensee‘ ist, was ich meiner künftigen Biographie nicht zu vergessen bitte.“