Storms Heiligenstädter Märchen – Die Entstehungsgeschichte (2)
In einem Brief vom 22. Dezember 1872 verriet Theodor Storm dem Hebbel-Biografen Emil Kuh einiges über seine Dichterwerkstatt. Selbstbewusst ordnete er seine Märchen unter dem höchsten Prädikat ein, so berichtet er Kuh: „In den drei Märchen ist auch der Stoff völlig von mir erfunden; nur daß im ‚Spiegel des Cyprianus‘ (ich habe den Namen des alten nordischen Zauberers gebraucht) bei dem Gespräch des Oberst Hager mit dem Kuno, ehe er ihn tötet, die Volksballade von der Gräfin von Orlamünde hineinspielt, aus der ich auch den Namen ‚Hager‘ benutzt habe. Im übrigen ist dieses Märchen aus einem etwa zwölf Jahre vorher empfangenen Eindruck entstanden. Ich sah damals nämlich eins meiner Kinder sich in einer dunkelbraunen polierten Kommode spiegeln, was mir damals einen seltsamen Eindruck machte. Aus diesem Kern entwickelte ich viele Jahre später das Märchen. ‚Bulemanns Haus‘ entstand aus der Anschauung der Schiefertafelbilder zu deutschen ‚Kinderliedern‘, ohne Jahreszahl vor vielleicht fünfundzwanzig Jahren erschienen. Vortrefflich. Ich lege einigen Wert auf diese Märchen, da nach meiner Ansicht der Märchen als poetische Kunstform in unserer Literatur äußerst schwach vertreten ist und überdies die drei Sachsen so recht aus dem vollen geschrieben sind; sie entsprangen alle drei fas zugleich in meiner Phantasie.“
Im bereits zitierten Brief an Hartmuth Brinkmann von 1864 versichert diesem Storm stolz: „Ich glaube, daß das, was ich bisher geschrieben, von besonderer Güte ist, und daß ich mit diesen Märchen einen ganz besonderen Treffer gezogen; denn ich denke, es soll Weihnachten 1865 ein ganzer Band ‚Märchen von Th. Storm‘ auf vielen Weihnachtstischen liegen. Eine solche Märchensammlung wird lange nicht da gewesen sein; daneben ist kein einziges verbrauchtes Motiv darin; wenigstens in den ersten drei ist alles rein aus meiner Phantasie herausgewachsen.“
Schon von seiner Jugendzeit an, zeigte der Dichter Interesse an Märchen. Mit Vorträgen von Märchen- und Spukgeschichten im Familien- und Freundeskreis fesselte er seine Zuhörerschaft. Sein erstes ein genes Märchen schuf Storm 1849 für seinen erstgeborenen Hans: „Der kleine Häwelmann“. Im darauffolgenden Jahr entstand die erste Fassung von „Stein und Rose“, dem späteren Märchen „Hinzelmeier“. Anschließend dauerte es über zehn Jahre, bis dem Richter im Dezember 1863 in seiner Wohnung in der Wilhelmstraße in Heiligenstadt der Einfall für die drei Märchen kam.