Storms Heiligenstädter Märchen – Die Entstehungsgeschichte (1)

Einige Monate vor seiner Rückkehr nach Husum, schrieb Theodor Storm, der als Kreisrichter in Heiligenstadt wirkte, drei Märchen. Über das erste Kunstmärchen „Die Regentrude“ schrieb er dem Zeichner Ludwig Pietsch am Ostersonntag 1864: „Dies Stück Poesie ist in glücklichen Stunden empfangen und geboren“. Auf „Die Regentrude“ folgten zwei weitere Märchen: „Bulemanns Haus“ und „Der Spiegel des Cyprianus“.

Die Entstehungsgeschichte verrät uns der Dichter in einem Brief vom 18. Januar 1864 an seinen Freund Hartmuth Brinkmann. Die angespannte Zeit, da die Schleswig-Holstein-Frage kurz vor einer Lösung stand, spielte eine entscheidende Rolle: „Trotz dieser politischen Aufregung, vielleicht gerade durch sie, weil sie ihr Gegengewicht verlangte, ward mir in dieser Zeit, was ich mir seit zwanzig Jahren vergebens oft gewünscht hatte, die Fähigkeit und der fast dämonische Drang zur Märchendichtung […]. Auf dem Weihnachtstisch der Kinder lagen die neuen Ausgaben der Hauffschen und Hackländerschen Märchen mit dem auch den feineren Sinn anziehenden Kupferradierungen von Sonderland und Zwecker; letztere sind die besten. Die Hackländerschen Märchen sind freilich schuldig gearbeitet, zum Teil aus Volksmärchen zusammengeflickt; aber es ist Stimmung darin und schöne Einzelheiten. Als ich daraus vor Weihnachten Constanze und Hans und Ernst den ‚Zauberkrug‘ vorlas, keimte plötzlich eine Saat der schönsten Märchenmotive in mir auf. Mit Papier und Bleistift stieg ich ins Bett und schrieb in der verhangenen Stube auf der Mappe, trotz dem Doktor, unaufhaltsam, ein Märchen von 49 Postpapierquartseiten ‚Die Regentrude‘; in zwölf (drei lag ich nur im Bett, Constanze sechs) hatte ich es auch schon überarbeitet und selbst ins reine geschrieben; aber das zweite Märchen ‚Bulemanns Haus‘ war schon wieder fertig in meinem Kopf und verlangte mit Ungestüm leibhaftige Gestaltung. Gestern ist nun auch das, nur wenig kürzer, beendet. […] Dann aber steht schon wieder ein drittes Märchen ‚Der Spiegel‘, vor mir und verlangt nach festen Zügen.“ Dies letzte Märchen vollendete Storm erst in Husum.