Paar auf dem Deich

Im vergangenem Jahr schenkte der Künstler Michael Zimmermann dem Literaturmuseum Theodor Storm seinen rund 1000 Werke umfassenden Schimmelreiter-Bildzyklus.

Michael Zimmermann, Paar auf dem Deich, 2002, Öl auf Leinwand, 111 x 142 cm

Darin enthalten ist auch das Werk „Paar auf dem Deich“ oder auch „Paar auf dem alten Deich“, welches neben nur einer weiteren Arbeit auf Papier, das einzige Gemälde ist, das nicht nur Hauke Haien, sondern auch Elke Volkerts zeigt.

Michael Zimmermann, Das Paar, Mischtechnik auf Papier, 2000

Aufgrund des hohen Abstraktionsgrades lässt es sich durch Vergleiche anderer Werke Zimmermanns als ein Kopfbild zwei nebeneinander stehender Menschen identifizieren. Hilfreich dafür ist die nähere Betrachtung des Gemäldes „Friesin mit Spindel“.

Michael Zimmermann, Friesin mit Spindel, Öl auf Holz, 1990, 110 x 140 cm

Es zeigt eine längliche Frauengestalt mit ebenfalls länglichen Kopf. Das Gesicht der Friesin ist nicht ausdefiniert. Auf dem gelb-grünen Inkarnat deutet ein kleiner blauer Pinselstrich einen Mund an. Eine Nase lässt sich durch den pastosen Farbauftrag der Inkarnatsfarbe erahnen. Ein weißer Punkt markiert die Stelle im Gesicht, wo ein Auge sitzen würde. Die Friesin trägt eine blau-schwarze Kopfbedeckung, die sich als Kopftuch der traditionellen friesischen Tracht identifizieren lässt: „Es han­delt sich da­bei um ein Tuch aus dün­nem Woll­stoff mit lan­gen schwar­zen Fran­sen. Das Kopf­tuch wird mit ei­nem kunst­voll be­stick­ten Samt­band, dem “Raam” ver­ziert. Die Sti­cke­rei des “Raams” ist farb­lich je­weils auf das Schul­ter­tuch ab­ge­stimmt. Ver­hei­ra­te­te Frau­en tra­gen zusätz­lich auf dem Hin­ter­kopf eine so­ge­nann­te Hau­be aus ro­tem Filz, ein klei­nes Tuch, welches mit schwar­zen Per­len be­stickt ist, die “Hüüv”. (Quelle)

Michael Zimmermann, ohne Titel (Elke), Mischtechnik auf Papier, 2001

Die gleiche schwarz-blaue Kopfbedeckung findet sich auf einer unbetittelten Arbeit auf Papier wieder. Die Samtbänder, der „Raam“, stehen deutlich links und rechts vom Kopf ab. Ähnlich gestalte dies Zimmermann im Werk „Paar auf dem alten Deich“. Diese Vergleiche belegen die Annahme, dass es sich bei dem Kopf auf der linken Seite um einen Frauenkopf und dem Titel zufolge Elke handelt.

Michael Zimmermann, ohne Titel (Hauke Haien), Mischtechnik auf Papier

Rechts daneben ist folglich der blonde Hauke Haien abgebildet. Der ovale Umriss des Kopfes ist ebenfalls durch eine Kopfbedeckung beschnitten. Zackige Linien deuten Haare an, welche unter ihr hervorschauen. Hauke Haiens Kopf ist in helleren Farben gehalten. Im Gegensatz zu dem von Elke dominieren hier Weiß und Grau. Nur am unteren Teil der Kopfbedeckung findet sich auch ein Dunkelrot wieder. Das Gelb von Elkes Inkarnat scheint in Haukes Kopf überzuströmen, als würde – im wahrsten Sinne des Wortes – ihre Nähe auf ihn abfärben. Die durch den Titel des Bildes „Paar auf dem Deich“ vorgenommene Verrottung der Figuren, lässt sich im Gemälde selbst jedoch nicht erkennen. Der Hintergrund gibt weder Aufschluss über Raum noch Zeit. Der erfahrene Stormleser kann den Moment jedoch aus der Handlung der Novelle ablesen: Nach dem Tod des alten Deichgrafen, dem Vater von Elke Volkerts, soll die Stelle mit einem passenden Kandidaten neu besetzt werden. Hauke Haien hat das nötige Wissen und die Erfahrungen, doch fehlt es ihm an „Kleie unter die Föt“, sagt der Künstler Michael Zimmermann in einem Interview mit Dr. Gideon Haut:

„Hauke Haien war arm, der hatte ja keine Voraussetzungen. (…) Also es ist schon so, man kann noch so gute Ideen haben, aber ohne, was sagst du, ‘Kleie unter die Föt’, dass man ein Standbein hat, ist es sehr sehr schwer.”

Erst durch die Übertragung von Elkes geerbten Ländereien, im Zuge einer bevorstehenden Hochzeit, erlangt Hauke den nötigen Besitz und kann die Stelle des neuen Deichgrafen antreten, so heißt es im Schimmelreiter:

‘Ja, liebe Jungfer’, sagte [der Oberdeichgraf] endlich, ‘aber wie steht es denn hier im Kooge mit den ehelichen Güterrechten?’ […]
‘[I]ch werde vor der Hochzeit meinem Bräutigam die Güter übertragen. Ich habe auch meinen kleinen Stolz’, setzte sie lächelnd hinzu; ‘ich will den reichsten Mann im Dorfe heiraten!’