Sturmnacht

Theodor Storm schrieb am 31. März 1846 an seine Verlobte, Constanze Esmarch, über die nächtlichen Vorgänge im Haus während draußen vor seiner Tür ein Sturm tobt:

 

„Jetzt ist’s Abend; aber alles draußen und drinnen ist so friedlich, die Möbel stehen so geduldig und schweigsam an den Wänden umher, und die kleinen Holzwürmer schlagen den Takt zu der Frühlingsmelodie, die noch leise in den Lüften summt. Weißt Du, mein Kindchen, wenn draußen Sturmnacht und Wolkenjagd ist und die Baumwipfel in tollem Tanze schüttern und brausen, dann wird’s oft gar unheimlich in alten Sälen und Peseln, wo die alten Riesenbäume, die Tannen und Eichen, in wunderliche Schnörkelhafte Möbel verzaubert an den Wänden umherstehen. Dann streben sie aus ihrer Verzauberung heraus. Hast Du’s wohl eher belebt, Kindchen? Es sieht recht graulich aus, wenn die alte Kommode aus Großmutters Hausrat im Zwielicht ihre dünnen Spinnenbeine tastend vor sich hinstreckt, oder hast Du’s wohl gehört, wenn der braune Kleiderschrank mit den gespenstischen Holzschnitzereien seinen weiten Bauch dehnt, daß es plötzlich krachend von einem Winkel in den andern fährt; der Lehnstuhl mit den Ohrenklappen, worauf das Streifchen Mondlicht so hastig hin und her huscht, macht seine Arme auf und zu. Aber es sind matte, traumhafte Bewegungen, der Zauber lastet zu schwer, die alte Gestalt ist für lange, lange Zeit verloren, und wenn du andern Tags im Sonnenschein in den Saal trittst, so stehen Schränke und Stühle unverrückt an ihrem Platz, und du ziehst die Schiebladen der alten Kommode auf, und deine Bänder und Schleifen und der Resedaduft lachen dir lustig entgegen. – Dieses, meine Dange, ist, wie Tieck es nennt, eine Seele zu einem Gedicht; da es nun wahrscheinlich niemals einen Leib bekommen wird, so hab ich Dir wenigstens die Seele mitteilen wollen.“

 

Ein paar Jahre später kommt es dann doch zu einem Druck des Gedichts im Volksbuch für 1849, in dem es noch die Überschrift Die alten Möbel trägt. Seit dem Jahr 1852 war es dann Teil der Gedichte:

 

Sturmnacht

Im Hinterhaus, im Fliesensaal
Über Urgroßmutters Tisch‘ und Bänke,
Über die alten Schatullen und Schränke
Wandelt der zitternde Mondenstrahl.
Vom Wald kommt der Wind
Und fährt an die Scheiben;
Und geschwind, geschwind
Schwatzt er ein Wort,
Und dann wieder fort
Zum Wald über Föhren und Eiben.
Da wird auch das alte verzauberte Holz
Da drinnen lebendig;
Wie sonst im Walde will es stolz
Die Kronen schütteln unbändig,
Mit den Ästen greifen hinaus in die Nacht,
Mit dem Sturm sich schaukeln in brausender Jagd,
Mit den Blättern in Übermut rauschen,
Beim Tanz im Flug
Durch Wolkenzug
Mit dem Mondlicht silberne Blicke tauschen.

Da müht sich der Lehnstuhl, die Arme zu recken,
Den Rokokofuß will das Kanapee strecken,
In der Kommode die Schubfächer drängen
Und wollen die rostigen Schlösser sprengen;
Der Eichschrank unter dem kleinen Troß
Steht da, ein finsterer Koloß.
Traumhaft regt er die Klauen an,
Ihm zuckt’s in der verlornen Krone;
Doch bricht er nicht den schweren Bann. –
Und draußen pfeift ihm der Wind zum Hohne
Und fährt an die Läden und rüttelt mit Macht,
Bläst durch die Ritzen, grunzt und lacht,
Schmeißt die Fledermäuse, die kleinen Gespenster,
Klitschend gegen die rasselnden Fenster.
Die glupen dumm neugierig hinein –
Da drinn‘ steht voll der Mondenschein.

Aber droben im Haus
Im behaglichen Zimmer
Beim Sturmgebraus
Saßen und schwatzten die Alten noch immer,
Nicht hörend, wie drunten die Saaltür sprang,
Wie ein Klang war erwacht
Aus der einsamen Nacht,
Der schollernd drang
Über Trepp‘ und Gang,
Daß drin in der Kammer die Kinder mit Schrecken
Auffuhren und schlüpften unter die Decken.