Neuigkeit: Ankauf einer Rarität für die Sammlung des Museums!

Eine äußerst seltene Erstausgabe von Theodor Storms Gedichten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer Signatur von Anna von Wussow wurde in die Büchersammlung des Literaturmuseums aufgenommen! Der Ankauf wurde ermöglicht durch Fördermittel der Thüringer Staatskanzlei, Abteilung Kultur und Kunst.

 

Seit dem 12.11.2024 besitzt das Literaturmuseum eine besondere Erstausgabe von Theodor Storms Gedichten. Zu diesem außergewöhnlichen Anlass soll deren Bedeutung, vor allem in Relation zu Anna von Wussow, einer Familienfreundin der Storms aus Heiligenstadt und wohl die ehemalige Besitzerin des besagten Buches, in den folgenden Zeilen vorgestellt werden. 

 

Die Familie von Wussow zählte zu den engsten Freunden, die die Familie Storm während ihres fast 8-jährigen Aufenthalts in Heiligenstadt gewann. Nachdem die Storms ihr neues Quartier in der Wilhelmsstraße 73 bezogen hatten, mietete sich ab dem 7. April 1857 der neu eingesetzte Landrat des Kreises, Alexander von Wussow, samt seiner Ehefrau Anna sowie seiner Söhne Gottwald und Johannes (Hans) für die nächsten zehn Jahre in dem bis dahin vakant gewordenen Haus am Liesebühl von Otto Storm ein.

Theodor Storm selbst berichtet seinen Eltern das erste Mal in einem Brief am 29. Juli 1858 von der Familie von Wussow:

Unter den guten Leuten, die sich meiner in meiner Strohwittwerschaft angenommen, stehen Wussows oben an (…) Mitunter unterhalten wir uns so gut, daß das Ehepaar mich noch bis an’s Thor bringt; das letzte Mal liefen er und ich noch bis Mitternacht um die Stadt spazieren. Ich denke, es wird sich ein angenehmer Umgang mit ihnen herausstellen.

Es mag überraschen, dass Theodor Storm von sich aus einen „angenehmen Umgang“, wie er es selbst bezeichnete, zu den von Wussows anstrebte. Bekanntlich war er als überzeugter Angehöriger des Bürgertums dem feudalen Adelsverständnis gegenüber ziemlich kritisch eingestellt. Und Alexander von Wussow hingegen repräsentierte seine familiäre Standeszugehörigkeit mit persönlich ausgeprägtem Stolz. Dennoch intensivierte sich der Kontakt sogar noch mehr, als es dem im betreffenden Brief bereits von Storm geäußerten Gedankengang entsprechen sollte. Letztlich entstand ein enges Vertrauensverhältnis, das auch nach den gemeinsam verlebten Tagen in Heiligenstadt anhalten sollte. Trotz politischer und ständischer Differenzen fanden Storm und von Wussow besonders in ihrem ähnlich ausgeprägten kirchenkritischen Denken sowie in dem beiderseitigen tiefgehend verankerten Sinn für Bildende Kunst und Literatur zueinander.

Anna Wilhelmine von Wussow (geborene Byern) stammte wie ihr Ehemann aus einer renommierten Familie, die dem preußischen Militäradel zugehörig war. Storm charakterisiert sie gegenüber seinen Eltern als zugängliche, aufrichtige und kinderliebe Person:

Sie ist eine grundgute ehrliche Frau, zwar in manchem Standesvorurtheil befangen; aber von einem tapfern und dabei etwas redseligen Herzen. Was ihr in meinen Augen besonders ein gutes Zeugniß giebt, ist das Interesse, die offenbare Freude, die sie auch an andern Kindern hat, so auch an unserm Ernst (…).

Vergleichbar zu Alexander von Wussow war Anna also ihrer Standesherkunft ganz und gar in ihrem Selbstverständnis verpflichtet. Das hielt Storm zwar ebenfalls nicht davon ab, die Charakterseiten an ihr wertzuschätzen, die er positiv an ihr hervorheben konnte. Allerdings erfolgte auch die ein oder andere Meinungsverschiedenheit aus Annas „Standesvorurtheil“, das sich vor allem immer wieder an der Kritik rieb, die Storm vorzugsweise innerhalb seiner Novellen an dem feudalistischen Adelsverständnis sowie den damit einhergehenden gesellschaftlichen Strukturen übte. Am 13. Dezember 1861, wieder im Rahmen eines Briefes an seine Eltern, schildert Storm den wohl denkwürdigsten Wortwechsel, der zwischen ihm und Anna von Wussow dokumentiert ist:

Zwischen der Wussow und mir (…) besteht jahraus und ein der alte Streit, daß ich ihr erkläre, sie sei die hochmüthigste Person von der Welt, und daß sie von dieser Schwäche gänzlich frei zu sein behauptet. Als sie den Inhalt der neuen Novelle gewittert, bat sie mich freundschaftlich, doch nichts gegen den Adel zu schreiben. Ich mußte ihr freilich erklären, daß der Dichter wie jeder Künstler dahin gedrängt werde, seine Persönlichkeit auszuprägen; und daß zu meinen tiefsten Ueberzeugungen gehöre, Adel und Kirche seien die zwei wesentlichen Hemmnisse einer durchgreifenden sittlichen Entwicklung unsres sowie andrer Völker. „Nä Storm“, meinte sie resignirt, „ich kann mir nicht helfen; ich halte das für eine entschiedene Schwäche von Ihnen.“

Die Überlegung, dass Anna von Wussow trotz anhaltender Resignation gegenüber Storms Adelskritik wohl doch zumindest Gefallen an dessen Lyrik finden konnte, lässt ein wirklich außergewöhnliches Exemplar einer Erstausgabe von Storms Gedichten zu. Die Ausgabe enthält eine Sammlung von mehr als 85 Gedichten, unter denen sich auch Lucie und Die Stadt finden lassen, genauso wie die in Novellen und Märchen verwendeten Gedichte oder Lieder (z. B. Elisabeth, Lied des Harfenmädchens, In Bulemanns Haus). Als Epilog ist In hoc signo vinces nachgestellt. Von der Schwers’schen Buchhandlung verlegt erschien die Ausgabe 1852 in Kiel. Abgesehen davon, dass es sich um eine Erstausgabe handelt, die bereits über 170 Jahre alt ist, befand sie sich wohl im Besitz von Anna von Wussow. Zeugnis dafür legt ihre Signatur ab, die sich in der rechten Ecke oben auf dem Titelblatt des Buches klar identifizieren lässt.

Wir sind sehr stolz darauf, nun eine solch kostbare Rarität der Sammlung des Literaturmuseums hinzufügen zu dürfen! Möglich gemacht wurde dies durch Fördergelder, mit denen wir den kompletten Kaufbetrag abdecken konnten. Für diese Projektförderung danken wir der Thüringer Staatskanzlei, Abteilung 4 „Kultur und Kunst“, die den Ankauf erst ermöglichte.

Die von uns erworbene Erstausgabe ist nicht nur ein bedeutendes Stück Mediengeschichte und relevant für die Forschung über Theodor Storms Werk, sondern auch ein weiteres Puzzlestück, um den bereits bekannten Konturen von Anna von Wussows Persönlichkeit und ihrer zwischenmenschlichen Beziehung zu Storm mehr Klarheit zu verschaffen.

 

 

~ Judith Windel