Zum Weihnachten

Alle, die sich ein bisschen mit Theodor Storm auskennen, wissen, wie viel Freude er am Weihnachtsfest hatte. Er feierte das Fest ausführlich mit seiner Familie, wie man in zahlreichen Briefen an Freunde und Verwandte nachlesen kann. Auch literarisch verewigte er seine Liebe zur Weihnachtszeit, z.B. mit der Novelle „Unter dem Tannenbaum“ und einem der wohl bekanntesten deutschen Weihnachtsgedichte „Knecht Ruprecht“, welches er im Jahr 1862 in Heilbad Heiligenstadt verfasste.

Er schrieb aber auch vorher schon Weihnachtsgedichte, wie „Zum Weihnachten“, welches er im Jahr 1840 in Kiel verfasste und an Bertha von Buchan schickte. In einer ersten Fassung bestand das Gedicht aus 16 Strophen, später verkürzte Storm das Gedicht dann auf sieben.

Der Titel des Gedichts ist kein Grammatik- oder Rechtschreibfehler, tatsächlich bedeutet im norddeutschen, und auch niederdeutschen Sprachraum, „Weihnachten“ als Maskulinum oder Neutrum mit bestimmtem Artikel „Weihnachtsgeschenk“.

 

Zum Weihnachten

Mit Märchen

Mädchen, in die Kinderschuhe
Tritt noch einmal mir behend!
Folg mir durch des Abends Ruhe,
Wo der dunkle Taxus brennt.

Engel knien an der Schwelle,
Hütend bei dem frommen Schein;
Von den Lippen klingt es helle:
Nur die Kindlein gehen ein!

Doch du schaust mich an verwundert,
Sprichst: »Vertreten sind die Schuh;
Unter alt vergeßnem Plunder
Liegt die Puppe in der Truh‘.«

Horch nur auf! Die alten Märchen
Ziehn dich in die alte Pracht!
Wie im Zauberwald das Pärchen
Schwatzen wir die ganze Nacht.

Von Schneewittchen bei den Zwergen,
Wo sie lebte unerkannt
Und war hinter ihren Bergen
Doch die Schönst‘ im ganzen Land.

Von Hans Bärlein, der im Streite
Einen Riesenritter schlug,
Der die Königstochter freite,
Endlich gar die Krone trug.

Von dem Dichter auch daheime,
Der ein Mädchen, groß und schlank,
Durch die Zauberkraft der Reime
Rückwärts in die Kindheit sang.