Der Pickelhering, ein Notgedrungener Prolog
Theodor Storm schreibt am 30. März 1858 in einem Brief an den Kreisgerichtsrat Rudolf Hermann Schnee, mit dem er in Potsdam Freundschaft geschlossen hatte, über sein gesellschaftliches Leben in Heiligenstadt:
„Zwar sind hier Menschen, die eine Geselligkeit ausmachen könnten genug; auch haben wir den Winter über eine Ressourcengesellschaft gehabt, wo von den Mitgliedern alle 14 Tage Komödie gespielt ist; allein in nähere Berührung sind wir, außer mit Schlüters, wo die Frau die Hälfte des Jahres krank ist, mit Niemandem gekommen. Geistig Ebenbürtige, die auch zugleich einen herzlichen Anteil an mir nähmen, habe ich nicht gefunden – etwa Schl[üter] ausgenommen; doch auch den sehe ich außer dem Gericht selten, wenn wir nicht was besonders vorhaben, wie z[um] E[xempel] jetzt, wo wir beide des Herrn Andrae Gryphii „Absurda comica oder Herr Peter Squenz“ zur Aufführung bringen wollen. Er macht den Squenz, unerhört hat er ihn gefaßt; ich den Pickelhering.“
Die Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz (1648/49) von Andreas Gryphius ist eine Barockkomödie, die auf die Rüpelszene aus William Shakespeares‘ Sommernachtstraum zurückgeht. In der Komödie will der Schulmeister Peter Squentz vor dem König ein Stück aufführen, um ihn zu beeindrucken, und sucht sich eine Gruppe Handwerker um die Rollen zu besetzen. Diese sind jedoch keine guten Schauspieler; sie verwechseln ihren Text, vertauschen ihre Reime am Zeilenende und fangen während des Stücks an sich zu streiten. Der Hof ist jedoch dadurch bestens unterhalten und die Handwerker werden am Ende für ihre Patzer noch belohnt. Der Pickelhering wird als „des Königs lustiger Rat“ beschrieben und ist eine Bezeichnung für einen Possenreißer auf der Bühne, die im 18. Jahrhundert nach und nach durch den Namen Hans Wurst abgelöst wird. Passend zu den scheiternden Schauspielübungen der unkultivierten Handwerker, die mit Flüchen um sich werfen, schrieb Gryphius das Stück in Knittelversen, die auch Storm nutzt:
„Um das Publikum etwas zu bestandpunkten spreche ich als Pickelhering einen dazu von mir verfaßten Prolog, darin es unter anderem heißt:
Nun aber sagt mir, wenn’s gefällt
Ich war so lange außen der Welt -,
Herr Professor Gottsched ist doch nicht zugegen? –
Ich gehe demselben gern aus den Wegen,
Er ist ein gar gewaltsamer Mann
Und hat mir übel Leids gethan;
Meinen guten Vetter Hans Wursten hat er
Zu Leipzig gejaget vom Theater,
Weil er zu kräftiglich thät spaßen!
– – Hätte ja mit sich handeln lassen!
Wir – haben unsre Späße auch:
Doch, Lieber, Alles nach Fug und Brauch!
Denn sonders vor dem Frauenzimmer
Muß man subtile reden immer;
Sie zeuchen das Sacktuch sonst vor‘s Gesicht,
Und da schauen sie die Comödia nicht.
Solches aber wär‘ Schad‘ überaus;
Denn es ist ein ganzer Blumenstrauß
Tulipanen und Rosmarin
Gelbveiglein und Nelken sind darin;
Die Vergißmeinnichte, so es zieren,
Werden euch euer Herze rühren;
Mitunter ist dann auch etwan
Ein deutscher Kohl dazugethan,
Und sollt‘ eine Saudistel dazwischen sein,
Das wollt ihr mildiglich verzeihn.
Und nun, Lieber, hab guten Muth,
Und merke, was sich zutragen thut.
Denke: Ein Maul ist kein Rachen,
Eine Kröt ist kein Drachen,
Ein Fingerlein ist kein Maaß –
Aber – ein Spaaß bleibt alleweil ein Spaß!
Da habt ihr auch eine Probe meiner neuesten Poesei. […] Die übrigen Rollen des, natürlich etwas castrirten, Stücks sind zum Theil mit Collegen besetzt, unter denen sich ganz nette Leute finden, aber doch zum näheren Umgang absolut keine.“
Zu einer Aufführung ist es wahrscheinlich nie gekommen, vermutlich, weil die Schlüters im September des gleichen Jahres nach Witten zogen.