Pfarrer Grimm und die geheime Taufe in Heiligenstadt – Heines Fürsprecher gegen den preußischen Bürokratismus

Im Juni 1835 fragte der ehemalige Regierungspräsident von Erfurt, von Hagen, bei Pfarrer Grimm nach der Identität des Verfassers der „Reisebilder“ nach. Grimm ahnte, dass es sich um genau den Heinrich Heine handelte, den er 1825 in Heiligenstadt getauft hatte, wägte in seinem Antwortschreiben aber eine Meinungsäußerung dazu mit Behutsamkeit ab. Die Taufe, die Heine wohl aufgrund antisemitischer Erfahrungen und einer religiösen Sinnkrise gewählt hatte, war auf Heines Wunsch hin von Grimm im Verborgenen abgehalten worden. Obwohl Heine seine Taufe selbst in seinem privaten Umfeld weitestgehend geheim hielt und Heiligenstadt in seinen Schriften nicht einmal beiläufig nennt, baute er eine gute Beziehung zu Pfarrer Grimm auf, der ihn gegen bürokratische Hürden unterstützte und seine Vertraulichkeit bewahrte.

Am 5. Juni 1835 schrieb der pensionierte Regierungspräsident des Bezirks Erfurt, von Hagen, an den Pfarrer von Heiligenstadt und ,,Königlichen Superintendenten“ des Eichsfeldes, Gottlob Christian Grimm, mit dem er persönlich bekannt war, einen Brief. Darin erkundigte sich von Hagen aus privatem Interesse, ob Grimm womöglich Auskunft über die Identität des Verfassers der populären ,,Reisebilder“ geben könne. Dass Pfarrer Grimm durchaus eine eigene Vermutung zur Beantwortung dieser Nachfrage anstellen konnte, mag im Hinblick darauf nicht verwundern, dass er vor zehn Jahren einen gewissen Harry Heine, der ihm fest im Gedächtnis geblieben war, auf den Namen Christian Johann Heinrich Heine getauft hatte. Nach exakt diesem Heinrich Heine fragte nun von Hagen durch eigene Kenntnis über diese Taufe explizit namentlich nach, woraufhin Pfarrer Grimm antwortete:

,,Er ist geboren zu Düsseldorf am 13ten December 1799 und ist der älteste Sohn des damals in Düsseldorf wohnhaften, im Jahre 1825 aber in Lüneburg privatisirenden Israelitischen Kaufmannes Samson Heine. (…) Im Juny 1825 hatte er das Examen pro gradu doctoris iuris in Göttingen bereits bestanden und bereitete sich vor, die zur Promotion erforderliche öffentliche Disputation zu halten. (…) Er beschäftigte sich in Göttingen vorzüglich mit der Geschichte und der Superintendent Ruperti daselbst schrieb mir unter dem 15ten Juny 1825, daß man sein Dichter-Talent rühme. (…) Die kurzen Andeutungen über die Lebens-Verhältnisse des Verfassers der Reise-Bilder, die ich hier und da in öffentlichen Blättern gefunden habe, lassen mich an der Identität mit dem Heine, welcher hier in Heiligenstadt die Taufe empfangen hat, nicht zweifeln. Einen überzeugenden Beweis zu führen bin ich jedoch nicht im Stande.“

Vor seiner Taufe, die, wie von ihm selbst beabsichtigt, abseits jeglicher Öffentlichkeitswahrnehmung am 28. Juni 1825 von Pfarrer Grimm in dessen Pfarrhaus stattgefunden hatte und somit zu einer Zeit, in der es noch nicht unbedingt absehbar gewesen war, dass er einmal zu den bekanntesten Schriftstellern des 19. Jahrhunderts in Europa zählen würde, hatte sich Heinrich Heine in einer persönlich bewegten und vor allem nicht immer einfachen Zeit seines bis dahin geführten Lebens befunden. Zwar hatte er sein Jurastudium, was er zuvor in Bonn aufgenommen und danach in Berlin fortgesetzt hatte, in Göttingen abschließen können, aber er hatte bis zu seiner Promotion, die er nur mit der Note ,,rite“ (genügend) bestand, immer vehementer über die ihm zunehmend leidiger werdende Juristerei in seinen Briefkorrespondenzen geklagt. Diese hatte er zugunsten seines Interesses an Geisteswissenschaften, vornehmlich der Geschichte, während seiner gesamten Studienzeit häufig vernachlässigt.

Abgesehen von seinem noch dazu sich verschlechternden, allgemeinen Gesundheitszustand hatte er in seiner Göttinger Studienzeit zunehmend mit seiner religiösen Identität gehadert. Die Tatsache, dass Heine von Geburt an der jüdischen (Glaubens-)Gemeinschaft angehört hatte, war seinen Mitmenschen oftmals nicht zweifelsfrei bekannt. Jedoch hatte das nichts daran ändern können, dass es zumindest offiziell nachzuvollziehen war, weswegen Heine besonders in dem von ihm als ,,gelehrter Kuhstall“ be-titelten Göttingen immer wieder mit antisemitisch motivierten Repressalien konfrontiert worden war.

Persönlich hatten sich Heine und Pfarrer Grimm am 24. Mai 1825 in Heiligenstadt kennengelernt, nachdem Heine für sein Taufgesuch bereits schriftlich mit ihm in Kontakt getreten war. Der zu dem Zeitpunkt 53-jährige Pfarrer Grimm hatte seit 1817 das Amt des ,,Königlichen Superintendenten“ im bis heute noch hauptsächlich katholisch geprägten Eichsfeld inne. Obwohl er als Würdenträger der evangelischen Kirche nur ungefähr einem Sechstel der damaligen Heiligenstädter Bevölkerung vorstand, hatte er nachweislich ein gutes Verhältnis zu katholischen Pfarrer-Kollegen und Gemeinden gleichermaßen. Sein Charakter wird in der Gemeindechronik der evangelischen St. Martinsgemeinde als in einem besonderen Maß gütig und besonnen beschrieben.

Davon, dass sich auch Heine und Pfarrer Grimm auf Anhieb sympathisch gewesen zu sein scheinen, zeugen Grimms bereits frühe und nachdrückliche Unterstützungsversuche für Heine bei der Regierungsbehörde in Erfurt. Diese hatte nämlich unnachgiebig darauf gepocht, dass Heine als Jude gemäß zweier geltender Verordnungen gewissenhaft christlich unterrichtet werden solle und schriftliche Atteste über seinen Leumund vorgelegt werden müssten, um eine ernsthafte Konversionsabsicht, also aus religiöser Überzeugung, zu belegen.

Obwohl Pfarrer Grimm die Regierungsbehörde nicht von ihren Forderungen hatte abbringen können, hatte er entgegen dieser auf einen Taufunterricht verzichtet. Noch dazu hatte er weiterhin, auch zweieinhalb Jahre später, als aus Erfurt abermals eine kontrollierende Nachfrage gefolgt war, unaufhörlich auf Heines Glaubwürdigkeit in allen die Taufe bzw. dessen christlicher Glaubensfestigkeit betreffenden Angelegenheiten gepocht.

Wie sich dem Wortlaut der Ansprache von Pfarrer Grimm zu Heines Taufe entnehmen lässt, waren sich damals beide in ihren theologischen Ansichten zum von der Spätaufklärung geprägten protestantisch-lutherischen Glaubensverständnis nicht uneins gewesen. Zudem teilten sie ein gemeinsames Interesse an Geschichte. In einem Brief vom 7. Juni 1825 hatte Pfarrer Grimm Heine sogar zur Tauffeier seiner Zwillinge im selben Monat eingeladen. Dass ihm Heines Anwesenheit als von ihm erwünschter Gast bei diesem Ereignis sehr wichtig gewesen zu sein scheint, verdeutlicht sein nachfolgender Brief am 23. Juni 1825. Darin hatte er dem Wunsch noch einmal gesondert Nachdruck verliehen, dass Heine doch bitte die Einladung zur Tauffeier annehmen solle.

Obwohl Heine zumindest in den von ihm überlieferten Texten selbst nie Heiligenstadt als Station in seinem Leben erwähnt und er die für ihn fremde Stadt eigentlich deshalb für seine Taufe ausgesucht hatte, weil ihn dort niemand gekannt hatte, hatte er augenscheinlich in Pfarrer Grimm einen nachhaltig verlässlichen Fürsprecher für sich gewonnen. Dieser bewahrte auch nach Heines internationalem Durchbruch als Schriftsteller gegenüber der Öffentlichkeit Schweigen über die Taufe. Hierzu schrieb er in seinem Antwortbrief an von Hagen:

,,Er wünschte, daß sein Uebertritt zum Christenthum geheim bleiben möchte und ich habe sein Geheimniß bewahrt soweit es von mir abhing.“