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„Aus einem Jungen ist Hauke Haien nun auf diesen 92 S. zum Deichgrafen geworden; nun bedarf es der Kunst, ihn aus einem Deichgrafen zu einem Nachtgespenst zu machen.“

Theodor Storm, 1887

Michael Zimmermann – Der Schimmelreiter und ich

Im Jahr 2022 schenkte der Künstler Michael Zimmermann dem Literaturmuseum Theodor Storm seinen rund 1500 Werke umfassenden Schimmelreiter-Bildzyklus und weitere Objekte. Diese werden im Museum nach und nach digitalisiert.

Einige ausgewählte Werke waren in der Sonderausstellung „Der Schimmelreiter und ich – Michael Zimmermann“ vom 12. März 2023 – 10. September 2023 im Museum zu sehen. Dazu gab es einen Audioguide, mit dem die Besucher*innen sich weitere Erklärungen zu den Bildern, Zitate aus dem Schimmelreiter und die Stimme des Künstlers anhören konnten.

Diese Ausstellung können Sie nun in einer online Version anschauen. Die Audios sind mit den dazugehörigen Bildern in den Videos anzuhören.

In einem Künstlergespräch während der Laufzeit der Ausstellung informierte uns der Künstler, dass er seine Papierarbeiten teilweise gleichwertig zu seinen Ölgemälden sieht – das Medium ist ihm nicht wichtig, um seine Message durchzubekommen. Wenn in der Ausstellung also von Skizzen oder Vorarbeiten gesprochen wird, sind diese gleichwertigen Papierarbeiten gemeint, die parallel zu den großen Ölgemälden stehen.

Wir haben auch ein Pädagogik-Programm zu Michael Zimmermann und seiner Interpretation zu Storms Schimmelreiter.

1. Malweise und Symbolik

Michael Zimmermann malt eine Landschaft nicht ihrer Schönheit wegen, sondern um ihr ausdrucksstarkes Wesen einzufangen. Dabei kehrt er in seiner abstrakt expressionistischen Malerei von einer naturalistischen Darstellung ab und komponiert mit schnellen Bewegungen und dickem Farbauftrag Meer und Himmel, Eis und Wellen, als auch Mensch und Tier so auf der Leinwand, dass sie sich oft erst auf den zweiten Blick erkennen lassen.

Das Rote Haus ist ein Beispiel für Zimmermanns symbolreiche Bildsprache. Es ist nicht nur einfach ein Haus in einer Eislandschaft. Die rote Farbe bedeutet Wärme, Zuflucht und Sicherheit und steht in einem starken Kontrast zu der bewegten Eislandschaft im unteren Teil des Bildes, dem Schnee auf dem Dach und dem durch einen schwungvollen hellblauen Pinselstrich angedeuteten Wintersturm. Das Symbol eines roten Hauses nutzt Zimmermann synonym für die Arche in der Sintflut oder die Geborgenheit der Familie im chaotischen Leben.

Andere Symbole in seinen Werken sind das Boot, als eine Reise ins Ungewisse und zugleich als abgeschlossener Raum für menschliche Beziehungen, als auch der Pferdekopf, welcher in Zimmermanns Bildern zum Schimmelreiter häufig zu finden ist.

In dem Video ist ein früheres Gemälde Zimmermanns von dem Schimmelreiter zu sehen (Schimmelreiter I, 1991, Öl auf Holz). Dazu spricht der Künstler über seine eigene Erfahrung als „Schimmelreiter“.

2. Der Künstler

Michael Zimmermann wuchs überwiegend in Norddeutschland auf und begann bereits mit neun Jahren erste künstlerische Werke zu schaffen. Früh lernte er den Künstler Gustav Mennicke kennen, der großen Einfluss auf die Entwicklung von Zimmermanns Malerei hatte und ihn später zum Studium bei Prof. Berger-Bergner an die Kunstakademie in Mannheim vermittelte. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit lehrte Zimmermann auch an unterschiedlichen Institutionen das Malen und Zeichnen.

Er arbeitet an thematischen und in sich abgeschlossenen Werkprojekten. Diese wurden in zahlreichen nationalen und auch internationalen Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert. Zimmermann nutzt verschiedene Techniken, wie z.B. die Ölmalerei, Pastellkreiden, Wasserfarben und Holzarbeiten, auch in Kombination miteinander.

Das Reisen und dabei die Landschaften in Gänze zu erfahren und so fast ein Teil von ihnen zu werden, ist Zimmermanns eigener Aussage nach die Voraussetzung dafür, dass er das Gesehene individuell und ausdrucksstark wiedergeben kann. Auf der Hallig Hooge (1985) und später der Hallig Langeneß (2001) erlebte er Eiswinter, Sturm und “Land unter”.

Durch diese intensiven Erfahrungen im Norden beschäftigt sich der Künstler eingehend mit Storms Novelle und stellt Gemeinsamkeiten mit dem Protagonisten Hauke Haien und sich selbst fest.

In seinem Schimmelreiter-Bildzyklus widmet er sich den Fragen: Wer ist Hauke Haien und für was steht er heute?

Hauke Haien,
er ist lebendig,
zu allen Zeiten.

– Michael Zimmermann, in: Hauke Haien, der Wiederkehrer [Film], Grobschnitt Mai 2002.

Zimmermann spricht im Video über seine künstlerischen Anfänge, seine Arbeiten am Deichbau und seine Vertrautheit mit den Halligen. Passend dazu sieht man seine Papierarbeit Hauke Haien.

3. Vom Kleinknecht zum Deichgraf

Zimmermanns Gemälde Paar auf dem Deich – Hauke Haien und Elke (2001, Öl auf Leinwand) wird erklärt und eingeordnet. Der Künstler spricht über Haukes Situation.

Hauke Haien hat schon früh die Ambition, Deichgraf zu werden. Da er jedoch ohne Landbesitz nicht die Voraussetzungen dafür erfüllt, bleibt ihm sein Wunsch verwehrt. So muss er zunächst die Stelle des Kleinknecht beim Deichgrafen annehmen und entwickelt dort Gefühle für dessen Tochter Elke.

Elke tanzte an diesem Abend nicht mehr, und als beide dann nach Hause gingen, hatten sie sich Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöhe funkelten die Sterne über der schweigenden Marsch; ein leichter Ostwind wehte und brachte strenge Kälte; die beiden aber gingen, ohne viel Tücher und Umhang, dahin, als sei es plötzlich Frühling geworden.

Als ihr Vater stirbt, kommt die Frage im Dorf auf, wer sein Nachfolger werden könnte, und so kommt Hauke ins Gespräch:

»Dort steht er«, sagte er, »die lange Friesengestalt mit den klugen grauen Augen neben der hageren Nase und den zwei Schädelwölbungen darüber!« […] »[W]as in den letzten Jahren Gutes für Deiche und Siele und dergleichen vom Deichgrafenamt in Vorschlag kam, das war von ihm; mit dem Alten war’s doch zuletzt nichts mehr.« […] »[U]nd Ihr meinet, er wäre nun auch der Mann, um in das Amt seines alten Herrn einzurücken?« »Der Mann wäre es schon, […] aber ihm fehlt das, was man hier ›Klei unter den Füßen‹ nennt; sein Vater hatte so um fünfzehn, er mag gut zwanzig Demat haben, aber damit ist bis jetzt hier niemand Deichgraf geworden.«

Daraufhin tritt Elke hinzu, die das Gespräch überhört hatte, und erzählt von ihrer Verlobung mit Hauke Haien, wodurch sein Landbesitz groß genug wäre, um Deichgraf zu werden.

»Das war schon vor geraumer Zeit; […] mein Vater war schon hinfällig worden, und da ich ihn kannte, so wollt ich ihn nicht mehr damit beunruhigen; itzt, da er bei Gott ist, wird er einsehen, daß sein Kind bei diesem Manne wohl geborgen ist. Ich hätte es auch das Trauerjahr hindurch schon ausgeschwiegen; jetzt aber, um Haukes und um des Kooges willen, hab ich reden müssen.« […] »Ja, liebe Jungfer«, sagte [der Oberdeichgraf] endlich, »aber wie steht es denn hier im Kooge mit den ehelichen Güterrechten?« […] »[I]ch werde vor der Hochzeit meinem Bräutigam die Güter übertragen. Ich habe auch meinen kleinen Stolz«, setzte sie lächelnd hinzu; »ich will den reichsten Mann im Dorfe heiraten!«

– Theodor Storm: Der Schimmelreiter

4. Farben des Sommers

Im Video sind drei Papierarbeiten von Michael Zimmermann zu sehen und ein Zitat aus Theodor Storms Der Schimmelreiter zu hören.

Am Beispiel der folgenden Landschaftsbilder lässt sich gut erkennen, welche Rolle Farbe im abstrakten Expressionismus spielt. Abgesehen vom Titel entsteht allein durch die Farbgebung und der durch sie erzeugte Temperatureindruck eine Gegenständlichkeit in den Bildern.

Bei Sommerland teilt ein Streifen sattes Grün das Bild in blauen Himmel (Hintergrund) und gelben Strand bzw. dunkelblaues Meer (Vordergrund). Erst in dieser Kombination und durch die reduzierte Farbwahl lässt sich das dargestellte Deichland als solches ausmachen.

Gleiches gilt für das Gemälde Rotes Siel. Die im Titel beschriebene Deichschleuse ist nicht durch klare Konturen, eine realistische Struktur oder konkrete Form zu erkennen, sondern hebt sich allein durch ihre rote Farbe vom Rest des Bildes ab.

Um auf diese Weise figurative Bezüge in seinen Werken zu schaffen, begrenzt sich Zimmermanns Farbpalette häufig auf wenige, ungemischte und kräftige Farben: Rot, Blau und Gelb, Weiß und Schwarz.

Innerhalb des Schimmelreiter-Zyklus‘ dominiert die Farbe Blau. Dunkelblau und Hellblau vermischen sich häufig und erschweren dadurch eine klare Abtrennung von Himmel und Meer.

So wie das warme, schützende Haus in seinen Gemälden eher an die Farbe Rot als an eine klare Form gebunden ist, schafft Zimmermann mit einer Zuschreibung der Farben Gelb und Rot für Hauke Haien, dass man ihn trotz Abstraktion in den Bildern wiedererkennen kann.

5. Hörbare Bilder

Die beiden Gemälde Landschaft hinterm Deich I & II (2001, Öl auf Leinwand) von Michael Zimmermann sehen Sie im Video zu einem Zitat aus Storms Schimmelreiter über Hauke Haien und seine Erlebnisse am Deich im tiefsten Winter.

Schon sehr früh kam Michael Zimmermann der Gedanke, seinen künstlerischen Werdegang in einzelne Werkprojekte einzuteilen. Dazu zählen neben den für den Schimmelreiter-Bildzyklus wichtigen Aufenthalten auf der Hallig Hooge (1985) und der Hallig Langeneß (2001) auch seine Arbeit an dem Kirchenfresko in Speyer (1980-81) und sein Schaffen auf Bali (1986) und Jamaica (1986-89).

Zimmermann will in seinen Bildern eine malerische Aussage treffen, die kein bloßes Abbild dessen ist, was er vor Ort sieht, erlebt und spürt. Er begibt sich dagegen direkt in die jeweilige reale Landschaft und ist dort unter den spezifischen lokalen Voraussetzungen, Gegebenheiten und Menschen künstlerisch tätig. Er will noch tiefer in seine Umgebung hineinfühlen, hineingehen, hineinhören und das künstlerisch umzusetzen, was mit dem bloßen Auge so nicht sichtbar ist: das Wesentliche.

Du witterst, du spürst mit deinen Sinnen, du riechst. Deine Sinne sind immer in Alarmbereitschaft. Sie sind immer offen. Du nimmst jede Regung, jeden Laut, jedes Knacken wahr. Du bist sehr sehr wach. Dann schiebt und bricht und donnert das Eis. Und das ist schon unheimlich, das zu hören.

– Michael Zimmermann, in: Interview zur Arbeit auf der Hallig Hooge, 1985.

Mit wenigen Pinselstrichen schafft er es, jene Kräfte darzustellen, welche eine Winterlandschaft auf einer Hallig ausmachen. Die Bewegung und Dynamik des Eises, des Sturmes und des Meeres sind durch Farbe und Form besonders ausdrucksstark. So wirken sie nicht nur visuell, sondern sind fast schon hörbar und spürbar. Sie heulen, peitschen, rauschen und knacken. Sie sind kalt, rau und grob.

6. Papierarbeiten

Im folgenden Video sind acht verschiedene Papierarbeiten zum Schimmelreiter zu sehen, an denen Michael Zimmermann Malweise erklärt wird.

7. Der Schimmelreiter

Theodor Storm beginnt seine Novelle Der Schimmelreiter nicht sofort mit der Geschichte über seinen Protagonisten Hauke Haien, sondern mit einer Rahmenerzählung. In dieser liest der Erzähler in einer Zeitschrift den Bericht eines Reisenden:

Als dieser in einer stürmischen Nacht über den Deich reitet, so schreibt der Reisende, das Meer zu seiner Rechten, die Marsch zu seiner Linken, hatte er eine unheimliche Begegnung.

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nichts; aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ, glaubte ich eine dunkle Gestalt zu erkennen, und bald, da sie näher kam, sah ich es, sie saß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im Vorbeifliegen sahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen Antlitz an.

– Theodor Storm: Der Schimmelreiter (Gesprochen:)

Im nächstgelegenen Wirtshaus findet der Reisende Schutz vor dem Sturm und erzählt den Anwesenden, was er auf seinem Weg gesehen habe. Seine Zuhörer erklären ihm, er müsse wohl dem Schimmelreiter begegnet sein.

An diesem Punkt in der Novelle setzt Storm mit der hauptsächlichen Binnengeschichte ein, indem er den alten Schulmeister dem Reisenden die Geschichte vom Deichgrafen Hauke Haien erzählen lässt, dessen Deich auch 100 Jahre nach seinem Tode noch stehe.

In diesem Video gibt es eine weitere Erklärung zu dem geisterhaften Schimmelreiter in Storms Novelle. Die Papierarbeit zum Schimmelreiter lässt sich gut vergleichen mit dem Ölgemälde Hauke Haien (2002).

8. Die Mathematik des Deichbaus

Das Gemälde Visionen am Deich – Hauke Haien (2001, Öl auf Leinwand) von Michael Zimmermann wird erklärt zu einem Zitat aus Storms Schimmelreiter über Hauke Haien und seinen Deichberechnungen.

Im Wintersturm lief er auf den Deich hinaus, mit Bleistift und Papier in der Hand, und stand und zeichnete und notierte, während ein Windstoß ihm die Mütze vom Kopf riß und das lange, fahle Haar ihm um sein heißes Antlitz flog; bald fuhr er, solange nur das Eis ihm nicht den Weg versperrte, mit einem Knecht zu Boot ins Wattenmeer hinaus und maß dort mit Lot und Stange die Tiefen der Ströme, über die er noch nicht sicher war.

Nicht nur als Deichgraf, sondern bereits als Junge interessiert sich Hauke Haien sehr für die Mathematik. So sitzt er oft bei seinem Vater in der Stube und sieht ihm gespannt dabei zu, wie dieser rechnet.

Und eines Abends frug er den Alten, warum denn das, was er eben hingeschrieben hatte, gerade so sein müsse und nicht anders sein könne, und stellte dann eine eigene Meinung darüber auf. Aber der Vater, der darauf nicht zu antworten wußte, schüttelte den Kopf und sprach: »Das kann ich dir nicht sagen; genug, es ist so, und du selber irrst dich. Willst du mehr wissen, so suche morgen aus der Kiste, die auf unserm Boden steht, ein Buch, einer, der Euklid hieß, hat’s geschrieben; das wird’s dir sagen!«

Hauke beschäftigt sich daraufhin intensiv mit Euklids mathematischen Formeln. Sein Vater lässt ihn zunächst gewähren, hat jedoch bald die Sorge, dass sich Hauke zu wenig praktisches Wissen aneignet, um ihm später beim Bewirtschaften seines Landes zu helfen. Daher schickt er ihn als Jugendlichen zur Deicharbeit. Das wiederum veranlasst Hauke dazu, sein theoretisches mathematisches Wissen auf den Bau und das Verbessern von Deichen anzuwenden.

›Das wird ihn vom Euklid kurieren‹, sprach er bei sich selber. Und der Junge karrte; aber den Euklid hatte er allzeit in der Tasche, und wenn die Arbeiter ihr Frühstück oder Vesper aßen, saß er auf seinem umgestülpten Schubkarren mit dem Buche in der Hand.

– Theodor Storm: Der Schimmelreiter

9. Was Lebiges

Und durch alles Getöse des Wetters hörte man das Geräusch der Arbeiter; das Klatschen der hineingestürzten Kleimassen, das Rasseln der Karren und das Rauschen des von oben hinabgelassenen Strohes ging unaufhaltsam vorwärts; dazwischen war mitunter das Winseln eines gelben Hundes laut geworden, der frierend und wie verloren zwischen Menschen und Fuhrwerken herumgestoßen wurde; plötzlich aber scholl ein jammervoller Schrei des kleinen Tieres von unten aus der Schlucht herauf. Hauke blickte hinab; er hatte es von oben hinunterschleudern sehen; eine jähe Zornröte stieg ihm ins Gesicht. »Halt! Haltet ein!« schrie er zu den Karren hinunter; denn der nasse Klei wurde unaufhaltsam aufgeschüttet.

– Theodor Storm: Der Schimmelreiter (Gesprochen:)

Hauke Haien springt daraufhin in die Schlucht und rettet das Tier, trotz der Proteste der Arbeiter. Sie sind der Meinung, es müsse etwas “Lebiges” im Deich vergraben werden, damit er den Fluten später besser standhält. Früher hätte man durchaus auch Kinder eingedeicht, erklärt einer der Arbeiter, heute begnüge man sich mit einem Hund oder ähnlichem. Für Hauke Haien ist dies veralteter Aberglaube, mit dem er nichts zu tun haben wolle. Er merkt jedoch, wie sehr sein Verhalten den Arbeitern missfällt, und sorgt sich, dass sie ihre Arbeit nicht beenden. Trotzdem bleibt er bei seiner Überzeugung und nimmt den Hund mit nach Hause, um ihn seiner Tochter zu schenken.

Das Brauchtum des sogenannten Bauopfers wird in vielen Sagen und Mythen der Antike bis hin zur Neuzeit beschrieben. Darin wird erzählt, wie Opfergaben im Fundament eines Bauwerks deponiert wurden, um den Bestand des Baus zu garantieren. Tieropfer können tatsächlich in Gemäuern von Burgen und Stadtmauern nachgewiesen werden, so etwa auf Schloss Burgk in Thüringen. Menschenopfer sind hingegen nicht zweifelsfrei zu belegen. Gängiger waren dingliche Opfergaben, wie Schmuck oder Münzen, Speisen, Pflanzen sowie Urkunden oder Zettel mit Bibelversen.

Das Verbot des Bauopfers im vorliegenden Ausschnitt der Novelle verdeutlicht den Unterschied zwischen alter und neuer Denkweise in der Welt des Schimmelreiters. Der Aberglaube der Dorfbewohner prallt auf eine von Hauke Haien vorangetriebene technische Weiterentwicklung, die den überlieferten Traditionen zuwiderläuft.

Der Künstler spricht über eine nach seiner Ansicht wichtigsten Aussage der Novelle. Er wollte Hauke Haien von der „Spukgestalt“ befreien. Zu der Erklärung sind zwei Papierarbeiten Zimmermanns zur Deicharbeit zu sehen.

10. Deichbruch

In dem ersten Video sehen Sie Zimmermanns Gemälde Deichbruch II (2001, Öl auf Leinwand) und hören seine Gedanken zum Deichbau und die Rolle des Menschen bei den aktuellen Naturveränderungen.

Im zweiten Video spricht Zimmermann über die Aktualität der Novelle. Zu sehen ist das Gemälde Deichbruch I (2001, Öl auf Leinwand).

11. Hauke Abstrakt

Eine Erklärung zu dem Wiederholten auftauchen von dem Symbol des Pferdekompfes in Zimmermanns Schimmelreiter-Arbeiten, exemplarisch am Gemälde Hauke Haien III, (2001, Öl auf Leinwand).

12. Der Tod des Hauke Haien

Die beiden Gemälde Landschaft hinterm Deich I & II (2001, Öl auf Leinwand) von Michael Zimmermann sehen Sie im Video zu einem Zitat aus Storms Schimmelreiter über Hauke Haien und seine Erlebnisse am Deich im tiefsten Winter.

Aber Sturm und Meer waren nicht barmherzig, ihr Toben zerwehte seine Worte; nur seinen Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald vom Pferd herabgerissen; und das Fuhrwerk flog ohne Aufenthalt der stürzenden Flut entgegen. Da sah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf die Arme streckte: Hatte sie ihn erkannt? […]

»Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!« schrie Hauke in den Sturm hinaus. Da sank aufs neu ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe, und donnernd stürzte das Meer sich hintendrein; noch einmal sah er drunten den Kopf des Pferdes, die Räder des Gefährtes aus dem wüsten Greuel emportauchen und dann quirlend darin untergehen. Die starren Augen des Reiters, der so einsam auf dem Deiche hielt, sahen weiter nichts. »Das Ende!« sprach er leise vor sich hin; dann ritt er an den Abgrund, wo unter ihm die Wasser, unheimlich rauschend, sein Heimatsdorf zu überfluten begannen; noch immer sah er das Licht von seinem Hause schimmern; es war ihm wie entseelt. Er richtete sich hoch auf und stieß dem Schimmel die Sporen in die Weichen; das Tier bäumte sich, es hätte sich fast überschlagen; aber die Kraft des Mannes drückte es herunter. »Vorwärts!« rief er noch einmal, wie er es so oft zum festen Ritt gerufen hatte. »Herr Gott, nimm mich; verschon die andere!« Noch ein Sporenstich; ein Schrei des Schimmels, der Sturm und Wellenbrausen überschrie; dann unten aus dem hinabstürzenden Strom ein dumpfer Schall, ein kurzer Kampf.

– Theodor Storm: Der Schimmelreiter (Gesprochen:)

13. Der Weg in die Abstraktion

Über Michael Zimmermanns künstlerischen Prozess zunächst anhand der Gemälde Hauke Haien II und Hauke Haien I (2001, Öl auf Leinwand), dann in seinen eigenen Worten.

Die Werke Seevögel über dem Deich und Nordlandschaft stehen sinnbildlich für verschiedene Entwicklungsstufen in Zimmermanns Oeuvre, welches sich im Laufe der Zeit von einer gegenständlichen Malerei bis hin zur fast vollkommenen Abstraktion entwickelte.

Bis zur Mitte der 1980er Jahre malte Zimmermann maskenhaft, fast bildhauerisch. Danach brachten ihm sein Aufenthalt auf der Hallig Hooge im Jahr 1985 und seine anschließenden Reisen nach Bali und Jamaica neue Inspiration. Seine Werke wurden bewegter und farbiger und verloren zugleich an Gegenständlichkeit. Der Einfluss seiner künstlerischen Vorbilder Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Paul Klee ist erkennbar, aber vor allem seine Malerfreundschaft mit Gustav Mennicke prägte Zimmermanns Arbeit. Der Künstler malt seitdem im Stil des abstrakten Expressionismus, der seinen Höhepunkt bereits zwischen 1940 und 1960 hatte.

Zimmermann nutzt schnelle Pinselstriche, trägt Farbe mit dem Spachtel auf oder lässt sie auf das Bild tropfen, um Bewegung und Zeit in den Fokus zu setzen. In unmittelbaren Malaktionen vor der Natur bringt er das zu Papier, was er sieht und dabei empfindet, momenthaft und subjektiv. Die Skizzen überträgt er auf Leinwand oder Holz. Dabei versucht er sich an einer Distanzierung von seinem persönlichen Eindruck, indem er das Wesentliche des Motives durch gesteigerte Abstraktion verbildlicht.

Das Werk Seevögel über dem Deich ist ein markantes Beispiel für den abstrakten Expressionismus, da er das Motiv der Vögel mit dem Fokus auf Bewegung und Dynamik einfängt. Bis an die Grenze zur Abstraktion tastet sich Zimmermann mit Nordlandschaft heran. Ähnlich der Farbfeldmalerei lässt sich hier die raue Wattlandschaft bei Nacht nur noch schemenhaft erkennen.

Es war eiskalt; meine verklommenen Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den Krähen und Möwen, die sich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm ins Land hineintreiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und schon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufen meines Pferdes erkennen; keine Menschenseele war mir begegnet, ich hörte nichts als das Geschrei der Vögel, wenn sie mich oder meine treue Stute fast mit den langen Flügeln streiften, und das Toben von Wind und Wasser.

– Theodor Storm: Der Schimmelreiter (Gesprochen:)

Impressum

Museumsleitung
Dr. Gideon Haut

Kuration und Texte
Henriette Roth und Daniela Scheele

Schenkung
Michael Zimmermann

Audioguide
Dr. Gideon Haut (Interviewer)
Michael Zimmermann (Künstler)
Dr. Anna Haut und Ulrich Potrykus (SprecherInnen)
Daniela Scheele und Henriette Roth (Schnitt)

Wir bedanken uns auch bei
Monika Potrykus und dem Stormverein für ihre Mithilfe
Michael Zimmermann für den Einblick in seine Arbeit